Jeanne

Berlin Alexanderplatz - die Funktion eines Romanes in Betracht der Geschichte?

15. April 2025

Berlin, rund um 1920. Franz ist verloren in der Grossstadt – bald Hauptstadt eines sozialnationalistischen Deutschlands. Er läuft, es rutscht, das Leben fließt um ihn herum. Berlin lebt, atmet, drängt. Berlin Alexanderplatz soll nicht die Grossstadt darstellen, es ist die Grossstadt. Inwiefern kann daher der Roman als ein Geschichtsbuch betrachtet werden?

Berlin Alexanderplatz:

Der Roman Berlin Alexanderplatz begleitete uns und stellte mich vor eine Herausforderung. Döblin, der Autor, wollte sich nicht dem typischen Erzählschlendrian hingeben. Sein Ziel war es nicht, bloß die Geschichte einer Figur zu erzählen, sondern die Vielseitigkeit und Komplexität Berlins darzustellen – das Buch soll Berlin sein. Durch die Montage von Zeitungsausschnitten, Anspielungen auf Songs und Theaterstücke sowie die ständige Variation der Erzähldistanz und der Perspektiven entsteht eine regelrechte Reizüberflutung – zumindest wirkte der Roman so auf mich. Doch genau darin liegt Döblins Meisterschaft: Die Großstadt selbst wird zur eigentlichen Geschichte – mit all ihrer Dynamik, ihrem Chaos und ihrer Vielschichtigkeit.

Dabei thematisiert Döblin die Unzufriedenheit des deutschen Volkes. Er schildert, wie die nationalsozialistische Partei an Einfluss gewinnt und die Verachtung der Juden zunimmt. Dadurch kann der Roman nicht nur als „eine Geschichte des Franz Biberkopf“ betrachtet werden, wie es der Verlag ursprünglich vorgesehen hatte, sondern auch als literarische Wiedergabe der Vorzeit des Dritten Reichs.

Roman im Vergleich zu einem Geschichtsbuch

So kam mir die Frage, inwiefern kann ein Roman als ein Geschichtsbuch fungieren. Ich machte folgende Überlegungen:

Ein Roman wie Berlin Alexanderplatz kann in vielerlei Hinsicht ein Sachbuch über Geschichte ergänzen oder in bestimmten Aspekten sogar ersetzen, jedoch gibt es auch klare Grenzen. Döblin vermittelt die Unruhe und Zerrissenheit der Weimarer Republik nicht durch bloße Fakten, sondern durch die Erlebnisse und Gedanken von Franz Biberkopf. Die Straßen Berlins, die Werbeanzeigen, die Zeitungsschlagzeilen – all das wird in den Roman eingewoben und lässt die Lesenden die damalige Zeit unmittelbar spüren. Während ein Sachbuch sich oft auf politische oder wirtschaftliche Entwicklungen konzentriert, zeigt der Roman, wie das Leben der einfachen Leute aussah. Franz Biberkopf kämpft nach seiner Entlassung aus dem Gefängnis mit Armut, Arbeitslosigkeit und dem Einfluss krimineller Netzwerke – ein Schicksal, das viele in dieser Zeit teilten.

Döblin lässt dabei verschiedene gesellschaftliche Gruppen sichtbar werden: Kleinkriminelle, Arbeiter, Zuhälter, Frauen in prekären Lebensverhältnissen. Die wachsende Präsenz nationalistischer und antisemitischer Strömungen wird nicht abstrakt beschrieben, sondern zeigt sich in den Gesprächen und Einstellungen der Figuren. Der Roman macht deutlich, wie Menschen in unsicheren Zeiten Halt suchen – sei es in politischen Ideologien, kriminellen Strukturen oder persönlichen Beziehungen. So wird nachvollziehbar, warum viele anfällig für radikale Strömungen wurden, ohne dass dies in einem sachlichen Ton analysiert werden muss.

Dennoch gibt es Grenzen. Ein Roman bleibt stets von der Perspektive seines Autors geprägt. Ereignisse werden verdichtet, stilisiert oder dramatisiert, um eine literarische Wirkung zu erzielen – das kann zu einer Verzerrung der historischen Realität führen. Zudem fehlt die analytische Tiefe, die ein Sachbuch bietet. Während Berlin Alexanderplatz die Auswirkungen wirtschaftlicher Unsicherheit zeigt, analysiert es nicht detailliert die Ursachen und Hintergründe des Scheiterns der Weimarer Republik. Ein weiteres Problem ist, dass der Roman nur ein Einzelschicksal schildert. Franz Biberkopf kann nicht für die gesamte Gesellschaft der Weimarer Republik sprechen. Als ehemaliger Strafgefangener und Kleinkrimineller repräsentiert er eine bestimmte soziale Gruppe, doch andere Perspektiven, etwa die der politischen Eliten oder Intellektuellen, bleiben weitgehend unberücksichtigt.

Letztlich kann ein Roman Geschichte lebendig machen, sie erfahrbar und emotional nachvollziehbar gestalten. Er ersetzt jedoch keine sachliche, faktenbasierte Darstellung historischer Prozesse.

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Quellen

Foto: https://www.fotocommunity.de/photo/berlin-alexanderplatz-sebastianwalter/30755014